Ab in die Fernsprechzelle - Weg mit der Mobilität der Fernsprecher

 

Die Gesten wären vor einem Jahrzehnt noch völlig unmöglich gewesen. Sie hätten zum sofortigen Ausschluß aus der Öffentlichkeit und zur Beobachtung in die Psychiatrie geführt.

Die Rede ist von der Geste - dem psychomotorischer Ausdruck- im öffentlichen mobilen Fern- und Ortsgespräch.

Urplötzlich kann die Welt um einen herum zum sozialem Vakuum werden- mein Nächster (den ich lieben soll) ist weg. Abgetaucht, weggebimmelt in ein soziales Bermudadreieck, andere Kräfte ziehen meinen Nächsten von mir weg.

Um mich herum immer mehr Menschen, die mit mir nicht das geringste zu tun haben wollen, brauchen und schon gar nicht neugierig auf mich sind.

Dem Schreiber -Schüler und Vielfahrer in den Sechzigern- waren Eisenbahnfahrten im Sechser- Abteil ein soziales Abenteuer. Interessante Gespräche, Fragen nach dem Wohin und Woher waren die Auslöser. Jung mit alt- Provokation und Diskussion - jeder Bahnhof konnte der Beginn eines wundervollen Gesprächs werden, die Lust auf den anderen, auf den Fremden war noch unverbraucht.

Der Großraumwaggon eines ICE ist dagegen eine Kommunikationswüste - frostiges Eisland.. Wer in diesen Abteilen mitfährt, dem vergeht schnell das Hören. Nach und nach redet jeder mit jemandem; bis zu 5 Menschen reden gleichzeitig..... in ihr Handy mit Freunden, Eltern und Partnern über Ankunftszeiten und machen geopositionäre Ortsangaben - Dinge, die man früher den Schaffner fragte- Miteinander redet man kaum noch .

Man bleibt sich fremd, weil man sein Zuhause mit sich schleppt.

Im Widerspruch zur Handywerbung, die weltmännisch das Informationszeitalter, das globale Netzwerk vorgaukelt, ist der tatsächliche Gebrauch des Handy eine Nabelschnur, mit der nicht erwachsen werden wollende Menschen sich in der Fremde den Kontakt zur Basis erhalten wollen.

Der kleine Kasten ist das Übergangsobjekt, mit dem sich die Kinder von "High-Tech" in die Welt trauen, für die männlichen unter ihnen geht es endlich mal nicht darum, wer den größten, sondern wer das Kleinste in der Hand hält. Nicht loslassenkönnen, die Hand immer festhaltend am Vertrauten.

Die Städte, U Bahnen, Straßen sind voller Menschen, v.a. Männer, die mit ihrem Ding spielen. Stabilität suchend in der rasenden Veränderung beschäftigen sie sich immer gleich: den Blick gesenkt, hektische Daumenbewegungen, den Blick auf das Display, erinnern sie an schüchterne Kinder, die verlegen ihre Schuhspitze in den Sand bohren und den Blick gesenkt halten - oh und dann die Erlösung: es bimmelt - Kontakt zur Home basis "ja, ich bin am Rathausplatz, noch 5 Minuten , ja , bis gleich", ja niemand geht verloren in dieser leeren Welt

Einspruch: Ich fühle mich zunehmend ausgeschlossen und ich möchte nicht immer mit den gleichen Leuten telefonieren. Die Situation hat sich gedreht

Diejenigen, die nicht gestikulierend, Grimassen schneidend, ja und nein stammelnd durch den öffentlichen Raum gehen, werden ausgeschlossen, Wer die Stadt als öffentlichen Raum wahrnimmt, ist verloren, um ihn herum Menschen, die deutlich zeigen: mit mir nicht, ich bin nicht anwesend, ich bin bereits verbunden.

Die Dauerinfantilen mit ihrer tragbaren Freisprecheinrichtung am Hals wirken besonders autistisch : ganz Ohr lauschen sie verzückt ihrer inneren Stimme, antworten in seltsamer Weltabwesenheit, in die Luft sprechend, ganz das Bild Ver-rückter.

Körperlich noch anwesend, geistesgegenwärtig schon lange nicht mehr, treiben sich immer mehr Zombies ferngesteuert auf Plätzen und Straßen rum. Die schiere Existenz einer anderen Personen ungnädig betrachtend unterhalten sie sich mit - für mich unsichtbaren, imaginären- Personen, wenn überhaupt, und strafen meine sinnlich-leibhaftige Existenz mit Mißachtung.

Und ich weiß um die Macht innerer Stimmen, weiß um die Macht der Klänge, die tiefer in uns dringen als Gesehenes.

Die Tuschler schließen mich aus, kein Mitgefühl, kein Mitschwingen, von der Stimme im Ohr werden die Telefonierer zu Reaktionen getrieben: Worte lassen ihre Gesichter erstarren, freudig die Lippenbeben, ächzen , stöhnen, die Augen verdrehen.

Noch nie war das Private so öffentlich und das Öffentliche so tot. Es gibt keine Öffentlichkeit mehr, sondern nur noch Privatinszenierungen im öffentlichen Raum ohne Resonanz.

Der öffentliche Handyist verlangt, daß ich seine Privatheit übersehe. Wir verlangen voneinander die soziale Isolation im Namen der Kommunikation.

Das Gesicht wahren gilt schon lange nicht mehr. Die privaten Gesichter in der Öffentlichkeit erzeugen ein ver-rücktes miteinander - ein Nebeneinander der Verrückten. Raum, Zeit und Handlung sind nicht mehr identisch - ergeben untereinander keinen Sinn mehr- nur wer über die Blackbox verfügt, kann an diesem Irrsinn teilnehmen.

Das Nebeneinander von Handyisten erinnert mich an onanierende Affen im Zoo, die mir auch immer das Gefühl geben, wenn schon, dann schon und ihr vorm Käfig traut euch das nur nicht wegen, na wegen des öffentlichen Anstandes.

Ja Anstand. Erinnert irgendwie an anstehen, nicht gleich kriegen, hat was von Zurückhaltung von Neutralität, von der Illusion, in der Öffentlichkeit stellt jeder etwas zurück. Und dieser Rest geht gerade verloren: Zurückhaltung des Persönlichen- Intimen - Familiären zugunsten eines sozialen- gesellschaftlichen Umganges. Heute darf die soziale Verbindung jederzeit zugunsten einer Stimme unterbrochen werden - "Tschuldigung, ich muß meine Position durchgeben-.. ach, das war Peter..."

Und das, welchem da Raum gegeben wird, dieses Private, welches sich da reindrängelt? Es ist entlarvend: es zeigt, daß wir privat wirklich nur gemein sind, billig, banal und alltäglich. Die Illusion des zaghaften Miteinander, die Pflege des Gespräches, die Umgangsformen, Höflichkeiten werden vom banalen alltäglichen Privaten verdrängt. Der Furz besiegt das Gespräch.

Ich habe teil an unsäglichen Gesprächen, die vor Jahren mangels technischer Mittel niemandem in der Öffentlichkeit zugemutet wurden., die jetzt das Handy dauernd ermöglicht.

Weg mit dieser drahtlosen Nabelschnur, ich fordere wieder die Fernsprechzelle - Intimitäten gehören in vier Wände, im freien Raum verpesten sie die Atmosphäre.

Ich fordere das Recht auf Öffentlichkeit, in der ich sozial und persönlich wahrgenommen werde und nicht von jedem Idioten ins soziale Abseits gebimmelt werde.

Ich möchte gesehen und geachtet werden und meine Kind nicht dauernd erklären müssen, daß das Sprechen in kleine schwarzen Kästchen völlig normal ist und vor allem , daß er nicht gemeint ist, wenn jemand mit leeren Blick ins Blaue redet und auch noch in seine Richtung guckt.

Aber das ist ja die Botschaft: Du bist nicht gemeint - wir sind alle nicht gemeint. Keiner braucht jemanden und wenn schon, dann spreche ich mit den Leuten , mit denen ich will, die meine Nummer haben und du bist raus.

Anzumerken ist, daß an jedem Wort, das zwischen Menschen getauscht wird in diesen Zeiten, jemand mitverdient: in der Öffentlichkeit sprechen in der Zwischenzeit häufgig mehr Menschen über Handy mit jemanden als mit Anwesenden von Angesicht zu Angesicht.

Es ist faszinierend, daß mit Ortsangaben ("ich bin gerade in der U-Bahn") soviel Geld gemacht wird- noch schöner wäre es, wenn jeder Handynutzer zur Kennung einen Vierzeiler aufsagen müßte zur Freude und Erbauung der Umstehenden? Ungeahnte Möglichkeiten der Bereicherung der Öffentlichkeit durch Lyrik: Poesie statt " Jaaa, ..nein, ja am rathausplatz.. bis gleich.." und das xmal am Tage.

Die Ortsangaben werden wohl Standard bleiben, weil sie einem tiefen Bedürfnis entsprechen.

Je mobiler wir sind, um so wichtiger wird die Beschwörung des jeweiligen Standortes

Die Erreichbarkeit in der Fremde, endlich mobil sein und dennoch verbunden, das ist uns viel wert.

Wenn mehr Menschen in der Öffentlichkeit mit vertrauten Menschen über das Handy reden als Menschen untereinander ins Gespräch kommen, dann wird der öffentliche Raum nur noch zur Kulisse für private Inszenierung, die endlos das selbe reproduzieren. Ich bin verbunden, ich bin erreichbar. Und das ist schon viel Sicherheit in einer hyperaktiven und hypermobilen Umwelt.

Wie fremd und vereinsamt muß das Gefühl der meisten in der Öffentlichkeit sein, damit sie so sehr an der Erreichbarkeit durch Bekannte und Familie hängen.

Da sitzt das Paar auf der Parkbank, jeder an seinem Handy und tauscht gebührenpflichtig Belanglosigkeiten aus, jeder an seiner Maschine. Miteinander ohne Maschine geht schon nicht mehr. So frisst das Private in der Öffentlichkeit das Private.

Es ging so schnell mit diesem Verrückt-Sein,wurde so widerspruchslos als sinnvoll akzeptiert, daß es Hoffnung gibt: auf diesem Weg brauchen wir uns nicht mehr.

Die scheinbare Geschäftigkeit, die Hyperaktivität, die Übersprungshandlungen künden auch von einer Agonie. Wer so verzweifelt bemüht ist - wie der moderne Mensch- möglichst viele Dinge gleichzeitig zu tun spürt seinen Mangel an Zeit. In der Angst, was zu verpassen, verpassen wir uns, hängen an der Nabelschnur und werden nicht frei, das zu tun, was die Zeit, der Ort erfordert. Wir werden ver-rückt und das wars.

Keine Hilfe in Sicht , aber alle am Telefonieren

ET - will nach Hause.